Mittwoch, 12. November 2014

Sind "harmlose" Schmerzmittel wirklich harmlos?

 

Die Schmerzbehandlung ist eine Erfolgsgeschichte der Homöopathie. Voraussetzung dafür ist es, Schmerzen ernst zu nehmen. Die Einnahme von Schmerzmitteln mag als die einfachere, schnellere und billigere Methode erscheinen, doch sie geht oft auf Kosten der Gesundheit. Besser ist die sorgfältige homöopathische Konstitutionsbehandlung.


Entwarnung für Paracetamol?

Ein Bericht vom 17.9.2012 in der Süddeutschen Zeitung: "Weniger wirksam als andere Schmerzmittel und noch dazu gefährlich für die Leber: Immer wieder hatte es in den vergangenenJahren Kritik an Paracetamol gegeben."

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/schmerzmittel-entwarnung-fuer-paracetamol-1.1469885

Hier Auszüge:

Nebenwirkungen in der Schwangerschaft: Paracetamol darf als einziges Analgetikum während der gesamten Schwangerschaft eingenommen werden. Diskutiert wird, ob die Einnahme des Mittels bei Kindern die Entwicklung von Asthma begünstigt. Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) sieht den Zusammenhang allerdings nicht belegt.
Einige neuere Studien legten den Schluss nahe, dass Paracetamol in der Schwangerschaft zum Hodenhochstand beim Neugeborenen führt. Diese Anomalie kann Auswirkungen auf die spätere Fruchtbarkeit haben. Aber auch dieser Zusammenhang ist nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Das Bundesinstitut rät, Paracetamol in der Schwangerschaft ´nur bei dringender Notwendigkeit´ anzuwenden."
 
 
Die hier erwähnten Studienergebnisse, die den Verdacht aufwarfen, dass Paracetamol, während der Schwangerschaft eingenommen (oder direkt an kleine Kinder gegeben), zu Asthma führt, hatten Forscher aus Osnabrück 2009 in der Fachzeitschrift Current Allergy Asthma Report zusammengefasst:
»Die verfügbaren Daten rechtfertigen eine Warnung der Bevölkerung vor unkritischer Einnahme«.
Eine Studie aus Århus in Dänemark an über 47000 Neugeborenen, hatte einen Zusammenhang gezeigt zwischen der Paracetamol-Einnahme über vier Wochen in den ersten sechs Monaten der Schwangerschaft und 980 Fällen von Hodenhochstand. Zu einem ähnlichen Ergebnis waren Studien aus Dänemark, Finnland und Frankreich gekommen. Frauen, die Paracetamol und Ibuprofen einnahmen, erhöhten das Risiko sogar um das siebenfache. Schmerzarzt Göbel sagt, er könne inzwischen keiner Schwangeren mehr zu Paracetamol raten. In den Behandlungsleitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft wird dies noch empfohlen.

Paracetamol ist die Nummer zwei aller frei verkauften Medikamente (nach einem Nasenspray). »Das Schlimme ist: Es ist nicht nur eine sehr gefährliche Substanz, sondern sie gilt als besonders harmlos«, sagt Kay Brune, Pharmakologe und Toxikologe an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Was den wenigsten Patienten bewusst ist: Werden Schmerzmittel (»Analgetika«) zu oft eingenommen, lösen sie selbst Schmerz aus. Jeder zehnte Kopfschmerzpatient leidet aus diesem Grund unter Dauerschmerzen. Fast zynisch klingt da der Hinweis auf dem Beipackzettel des populären Präparats Thomapyrin: »Bei längerem hoch dosiertem, nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch von Schmerzmitteln können Kopfschmerzen auftreten, die nicht durch erhöhte Dosen des Arzneimittels behandelt werden dürfen« – doch wie soll man die einen Schmerzen von den anderen unterscheiden?

 

 

"Vier Stunden Wirkung, vier Tage Nebenwirkung"

Süddeutsche Zeitung: 02.07.2012, 13:22

Interview: Berit Uhlmann
Süddeutsche.de: Alle bekannten Schmerzmittel werden wahrscheinlich in Kürze nur noch in kleineren Packungen erhältlich sein, um den Verbraucher zu schützen. Was macht sie so gefährlich?

Kay Brune: Frei verkäuflich heißt nicht harmlos. Vor allem die Allerweltsmittel Aspirin und Paracetamol können starke Nebenwirkungen haben. Aspirin entfaltet seine schmerzlindernde Wirkung für etwa vier Stunden, zeigt aber Nebenwirkungen für vier Tage. Ich spreche von Störungen der Blutgerinnung: Das Medikament verdünnt das Blut. Diese Wirkung endet eben nicht mit der schmerzhemmenden Wirkung der Tablette, sondern hält Tage lang an. Welcher Verbraucher weiß das schon? Blutungen sind die große Gefahr dieses Wirkstoffes.
Paracetamol wiederrum kann vor allem zu Leberschäden bis hin zum Leberversagen führen. Das Problem ist, dass es sehr leicht überdosiert werden kann, weil es auch in vielen Kombinationspräparaten enthalten ist, und so schnell eine kritische Dosis erreicht wird.

Süddeutsche.de: Sie haben sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, Paracetamol nur noch auf Rezept auszugeben ...

Brune: Ja, ich hatte beim BfarM einen entsprechenden Antrag eingereicht. Er wurde nicht angenommen, was ich sehr bedaure. Ich finde, ein Medikament, bei dem eine Verdopplung der empfohlenen Dosis bereits tödlich sein kann, gehört nicht in den freien Verkauf.

Ich sehe allerdings auch, dass es sehr schwer wäre, wenn Deutschland als einziges Land den freien Verkauf untersagen würde. Ärzte fürchten zudem, dass die Patienten nicht ausreichend mit Schmerzmitteln versorgt sind, wenn sie sich jedes Mal für Paracetamol ein Rezept ausstellen lassen müssen.





Hier ein Artikel von Harro Albrecht, erschienen in der ZEIT am 10.2.2011, in etwas gekürzten Auszügen wiedergegeben. Hervorhebungen von mir.

Schmerz, lass nach

Die Deutschen schlucken massenhaft Schmerzmittel. Schon bei normaler Dosierung können Tabletten gefährlich sein.
Fast 70 Prozent der Frauen und mehr als 50 Prozent der Männer werden im Verlauf eines Jahres von Kopfschmerzen heimgesucht. Ähnlich verbreitet sind Rückenschmerzen, die rund 15 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage verursachen – so fasst es bereits ein Gesundheitsbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2002 zusammen. Schmerzen sind ein Massenphänomen – und so werden sie auch meist behandelt: sorglos und oft ganz ohne Rücksprache mit einem Arzt. Ein halbes Dutzend Wirkstoffe gegen Schmerzen sind frei verkäuflich. Eine Packung Paracetamol gibt es schon zum Preis von zwei Mohnbrötchen. Der schnelle Griff zur Tablette löst die Probleme oft nicht und schadet mehr, als viele Laien ahnen.
Was den wenigsten Patienten bewusst ist: Werden Schmerzmittel (»Analgetika«) zu oft eingenommen, lösen sie selbst Schmerz aus. Jeder zehnte Kopfschmerzpatient leidet aus diesem Grund unter Dauerschmerzen. Fast zynisch klingt da der Hinweis auf dem Beipackzettel des populären Präparats Thomapyrin: »Bei längerem hoch dosiertem, nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch von Schmerzmitteln können Kopfschmerzen auftreten, die nicht durch erhöhte Dosen des Arzneimittels behandelt werden dürfen« – doch wie soll man die einen Schmerzen von den anderen unterscheiden?
Leiter der Kieler Schmerzklinik, Hartmut Göbel: „Ich habe einmal ausgerechnet, dass in Deutschland für Schmerzmittel in Apotheken mehr ausgegeben wird als für Brot beim Bäcker. Schmerzmittel ist eigentlich gar nicht mehr das richtige Wort, es sind Lebensmittel.«
Tatsächlich geben die Deutschen für rezeptfrei verfügbare Analgetika jährlich rund 900 Millionen Euro aus. 10 der 20 am häufigsten frei verkäuflichen Arzneien sind Schmerzmittel: Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Paracetamol und ihre Kombinationspräparate. Zwar stagniert der Absatz von Paracetamol, dafür steigt der von Ibuprofen und Diclofenac.
Laien ist vielleicht noch bekannt, dass Acetylsalicylsäure Magenblutungen auslösen kann und bei hohen Dosen Paracetamol Leberschäden drohen. Doch immer wieder zeigen Studien, dass frei verkäufliche Analgetika gefährlich sein können – selbst bei Gebrauch gemäß Beipackzettel.
Erst Mitte Januar hat das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern eine Metaanalyse von insgesamt 31 Studien zu Nebenwirkungen häufig gebrauchter Medikamente vorgelegt. Darunter waren die Wirkstoffe Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen. Die Autoren um Peter Jüni haben die Risiken für Herzinfarkt und Schlaganfall untersucht. Bei 11.429 Patienten fanden sie 554 Herzinfarkte und 377 Schlaganfälle. Im British Medical Journal präsentierten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse mit kühler Statistik und Sätzen voller Abwägungen. Auf Nachfrage wird Jüni sofort deutlicher: »Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Medikamente das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall um den Faktor zwei bis vier erhöhen. Das ist beträchtlich!« – besonders für ältere Menschen mit vorgeschädigten Blutgefäßen kann das eine Gefahr bedeuten.
Ein weit verbreitetes Präparat fehlt in der Metaanalyse. Es ist die Nummer zwei aller in derfrei verkauften Medikamente (nach einem Nasenspray): Paracetamol. »Das Schlimme ist: Es ist nicht nur eine sehr gefährliche Substanz, sondern sie gilt als besonders harmlos«, sagt Kay Brune, Pharmakologe und Toxikologe an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er verweist auf eine Studie im Fachjournal The Journal of the American Medical Association von US-Medizinern der Universität von North Carolina in Chapel Hill. Sie hatten junge Paracetamol-Konsumenten untersucht und in 27 Prozent der Fälle Zeichen von reversiblen Leberschäden gefunden – obwohl keiner die zugelassene Dosierung überschritten hatte. Brune beobachtet die Nachrichtenlage mit Sorge: »Es gab unendlich viele Einzelfall- und Gruppenmeldungen, dass es auch bei erlaubter Dosierung zu akutem Leberversagen kommt.« Das gilt erst recht, wenn jemand mehr als zehn Gramm Paracetamol auf einmal schluckt, die rezeptfrei erhältliche Menge. Am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entschied daher der zuständige Sachverständigenausschuss, dass Apotheken von April vergangenen Jahres an nur noch maximal zehn Gramm Paracetamol pro Packung an Kunden ohne Rezept abgeben dürfen. Einer der Sachverständigen war Brune. Er hatte fünf Gramm als Höchstgrenze gefordert – die drei Vertreter der Industrie im Gremium stimmten dagegen.
Es ist paradox: Weil Paracetamol – wie auch Aspirin – aus der Frühzeit synthetischer Arzneimittel stammt, durchlief es nur Tests, die im Vergleich zum heutigen Zulassungsprozedere wie ein Witz wirken. So fand Peter Jüni für Paracetamol nicht genug aussagekräftige Untersuchungen über Nebenwirkungen. Das sei schon deshalb so, weil der Patentschutz lange abgelaufen ist und aufwändige Nachforschungen sich für die Hersteller nicht rechnen. Dafür aber läuft bereits seit Jahrzehnten der Test qua Massengebrauch.
Beunruhigende neue Hinweise über potenzielle Gefahren in der Fachliteratur änderten bislang nichts am Alltagskonsum. Immer wieder tauchte in den vergangenen Jahren der Verdacht auf, dass Paracetamol, während der Schwangerschaft eingenommen (oder direkt an kleine Kinder gegeben), zu Asthma führt. »Die verfügbaren Daten rechtfertigen eine Warnung der Bevölkerung vor unkritischer Einnahme«, fassten Forscher aus Osnabrück 2009 in der Fachzeitschrift Current Allergy Asthma Report zusammen. Und im vergangenen November stellte eine Studie aus Århus in Dänemark an über 47000 Neugeborenen einen Zusammenhang her zwischen der Paracetamol-Einnahme über vier Wochen in den ersten sechs Monaten der Schwangerschaft und 980 Fällen von Hodenhochstand. Dieser kann im späteren Leben zur Zeugungsunfähigkeit führen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie aus Dänemark, Finnland und Frankreich. Frauen, die Paracetamol und Ibuprofen einnahmen, erhöhten das Risiko sogar um das siebenfache. Schmerzarzt Göbel sagt, er könne inzwischen keiner Schwangeren mehr zu Paracetamol raten. In den Behandlungsleitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft wird dies noch empfohlen.
Die Zahl der kritischen Studien und Expertenwarnungen wächst. Nur langsam werden die Pharmakontrolleure hellhörig. So prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit der Europäischen Arzneimittelagentur die neuen »Signale«. Die US-Arzneimittelbehörte FDA beabsichtigt, die erlaubte Höchstmenge von Paracetamol pro Tablette auf 325 Milligramm zu senken. Und das Bundesgesundheitsministerium in Berlin teilt mit, in »absehbarer Zeit« solle die Arzneimittelverschreibungsverordnung im Hinblick auf entzündungshemmende Schmerzmittel geändert werden. Das BfArM lege entsprechende Konzepte in den nächsten Wochen vor.
Über Jahrzehnte haben sich Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Co. als harmlose Alltagshelfer etabliert. Das hat zu der Erwartungshaltung »Schmerzfrei, sofort!« geführt. Ein Irrweg, findet Hartmut Göbel. Im Rahmen der Umfrage Gläserne Schule fand Göbel heraus, dass bis zu 40 Prozent aller Schüler in Schleswig-Holstein über Kopfschmerzen klagten – und Schmerzmittel einnahmen. »Wir haben hier Patienten, die bis zu 30 Thomapyrin am Tag eingenommen haben«, sagt Hartmut Göbel. Eine Weile halte der Körper das aus. Dann stellen sich Nebenwirkungen ein: Depressionen, Magen-Darm-Störungen, Leberprobleme. »Bis dann Leute mit 35, 40 Jahren nicht mehr können.«

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