Sonntag, 30. November 2014

Wie Eltern Ruhe bewahren, wenn das Baby schreit

Deutscher Kinderschutzbund: „starke eltern – starke kinder“

Jahresheft 2014
Die Journalistin Anke Gasch bat mich um ein ausführliches Interview für den Jahresheft-Leitartikel des Deutschen Kinderschutzbunds. Dieses umfassende Magazin mit dem Namen "starke eltern – starke kinder" erscheint jährlich seit 1998 und beleuchtet dabei immer ein bestimmtes Thema aus unterschiedlichsten Perspektiven. Im Jahr 2014 lautete dieses Thema:

Kein Stress für frischgebackene Eltern“

Kaum ist das Baby da, ist es vorbei mit der inneren Ruhe. Und das oft selbst bei den Eltern, die vorher zu den „total Entspannten“ zählten. Plötzlich möchten wir immer alles richtig machen. Aber was ist „das Richtige“? Was brauchen Kinder wirklich, um gut zu gedeihen? Welche Ängste und Sorgen sind berechtigt – und welche überflüssig?

Schau mal, wer da spricht: Babys Signale richtig deuten 

Babys sprechen mit ihrem Körper und mit Lauten. Wenn ein Baby weint, heißt das immer, dass es sich nicht wohlfühlt. Dumm ist nur, dass das Weinen alles Mögliche bedeuten kann. „Du hältst mich nicht richtig!" etwa. Aber auch: „Mein Popo brennt.", „Hilfe! Wo bist du? Ich fühl mich so allein!", „Hunger!" und so weiter ...
Und dann stehen wir Eltern oft hilflos da, mit den geliebten Wesen im Arm, und flüstern „Was hast du nur?" – Das muss nicht sein, weiß Schreibaby-Fachfrau Vivian Weigert: „Im Grundsatz sind es sechs Dinge, die Eltern abprüfen können. Und das recht fix." Hier sind sie:

 
Hast du Hunger/Durst?
Um das herauszufinden, brauchen Sie nur zu schauen, ob Ihr Kind etwas trinken würde. Ganz einfach: die Brust anbieten. Wenn Sie die Flasche geben und nicht immer sofort eine zubereiten möchten, sehen Sie sich Ihr Baby genau an: Wirkt sein Körper angespannt? Macht es Schmatz-Geräusche? Öffnet es seinen Mund, wenn Sie ihm direkt neben den Lippen über die Wange streichen? Bewegt es dabei suchend den Kopf? Dann hat es höchstwahrscheinlich Hunger oder Durst. Weigert: „Ein Baby darf Pre-Nahrung oder Mamas Brust jederzeit haben, es sei denn, Mamas Busen braucht gerade Schonung. Dass Babys Bauchschmerzen bekommen, wenn frische auf halbverdaute Milch trifft, ist völliger Humbug. Sie glauben gar nicht, wie viele Schreibabys in meine Praxis getragen wurden, die gar keine gewesen sind. Da war nur den Eltern gesagt worden, ihre Kinder dürften nur alle drei oder vier Stunden trinken. Dabei brauchen viele Babys kurz nach dem Stillen noch ein kleines Dessert, so zwei bis vier Nachschlucke. Und dann sind sie zufrieden und ruhig. Andernfalls müssen sie oft eine ganze Stunde herumgetragen werden. Kinder im ersten Lebensjahr können Sie so auch nicht verwöhnen, da gibt es keine Wünsche, sondern nur Bedürfnisse."

Bist du müde?
Ist Ihr Baby müde, will es nicht trinken, sondern weint und quengelt auch dann weiter, wenn Sie ihm die Brust oder die Flasche anbieten. Vor allem lässt es sich dann nicht ablegen. Es schreit, sobald es allein ist oder keinen Körperkontakt mehr spürt. Es wird ruhig, sobald Sie es auf den Arm nehmen. Manchmal reibt es sich die Augen oder die Ohren.
Weigert: „Müde Babys halten keinen Blickkontakt. Sie wenden den Kopf ab, wenn man sie anschaut. Das ist keine Ablehnung, sondern heißt nur: Ich brauche jetzt Ruhe."

Zwickt dein Bauch?
Ihr Baby fängt etwa eine halbe Stunde nach der letzten Mahlzeit an zu quengeln? Dann könnte es „Verdauung haben", meint Vivian Weigert. „Das Verdauungsempfinden ist für Babys noch neu, es fühlt sich für sie einfach nicht wohlig an. Manchen macht das ungewohnte Rumoren sogar Angst." Was Babys dann brauchen, ist Zuspruch und Zuwendung. Sagen Sie Dinge wie „Alles wird gut, mein Schatz, das ist nur die Verdauung! Das gehört zum Erdenleben dazu, das ist ganz normal. Ich bin für dich da. Bei mir bist du sicher." Was Sie sonst noch tun können? Legen Sie sich Ihr Baby über die Schulter und bewegen Sie es dabei sanft auf und ab. Oder setzen Sie sich mit dem Baby auf einen Pezziball und wippen leicht."

Bist du überreizt?
Wenn Ihr Baby sich an Ihrem Körper nicht beruhigt, könnte es überreizt sein. Was hilft? Stellen Sie zunächst alle Reize aus der Außenwelt (Radio, Fernseher ...) ab. Bieten Sie kein Spielzeug mehr an und auch keine Streicheleinheiten. Halten Sie Ihr Kind ruhig im Arm. Dabei können Sie wiegend hin- und hergehen, auf dem Pezziball wippen, abfallende Töne summen. „Weigert: Wichtig ist nur, dass Sie das Baby dabei total in Ruhe lassen, es also nicht ansprechen!"

Hast du Schmerzen?
Hat das Baby Schmerzen, schreit es plötzlich und schrill. Dabei ist sein Körper stark angespannt. Sie wissen nicht, warum Ihr Baby so ausdauernd „Alarm!" schreit? Rufen Sie Ihren Kinderarzt an und/oder Ihre Hebamme und bitten diese um Rat. Weigert: „Fahren Sie auch ruhig in die Kinderklinik oder rufen Sie den Notarzt. – Erfahrung kommt nun mal erst mit der Zeit."

Möchtest du spielen? Oder kuscheln?
Babys, die Aufmerksamkeit wollen, quengeln oder knöttern leise. Ob Ihr Baby tatsächlich Kontakt will oder spielen möchte, erkennen Sie, sobald Sie sich ihm zuwenden. „Dann beruhigt sich das Kleine rasch, konzentriert sich auf sein Gegenüber und sucht Blickkontakt", erklärt Weigert. Manchmal reicht es, wenn das Baby Mama oder Papa wie eine Ladestation nutzen darf: Es tankt sein Kuschel-Akku kurz auf und kann dann gut allein weiterspielen.


Feierabend für frischgebackene Eltern? Gibt es nicht!


Aber eine HAPPY HOUR: den frühen Nachmittag
In jedem Land der Erde erreichen Babys zwischen der vierten und sechsten Lebenswoche den sogenannten „Schreigipfel". Etwa die Hälfte der täglichen Schreidauer fällt auf die Abendstunden, meist auf den Zeitraum zwischen 17:00 und 22:00 Uhr. „Im zweiten Lebensmonat geht fast kein Baby vor 23:00 Uhr ins Bett", berichtet Schreibaby-Fachfrau Vivian Weigert. „Eltern stellen sich also idealerweise darauf ein, dass sie jetzt einen Job haben, bei dem der Abend die Hauptarbeitszeit ist." Was hilft, diese Zeit zu überstehen?
1. Nutzen Sie den frühen Nachmittag, um sich auszuruhen. In dieser Zeit sind die meisten Babys entspannt.
2. Probieren Sie am Abend das „Clusterfeeding" aus, auch Dauerstillen oder Lagerfeuerstillen genannt: Lassen Sie Ihr Baby an die Brust/Flasche, wann immer es möchte. (Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Babys, die häufig gestillt oder gefüttert werden, weniger schreien!)
3. Machen Sie zu dritt einen Abendspaziergang mit Baby.
4. Das Wissen, dass es sich hier um eine Phase handelt. Sind die Babys vier Monate alt, werden die Abende wieder ruhiger.
 


Ruhe bewahren, wenn das Baby schreit


Wie soll man entspannt bleiben, wenn das Baby weint und weint und man so gar keine Ahnung hat, warum? 


„Häufig ist es so, dass die Kleinen überreizt sind", erklärt „Babyeltern-Beraterin" Vivian Weigert. Sie hilft regelmäßig Eltern, „ihr Baby zu lesen" und weiß: „Überreizte Babys knöttern und weinen selbst dann noch, wenn sie satt sind und von den Eltern herumgetragen werden." In solchen Fällen können Eltern und Kind sich in ihrer Unruhe sogar gegenseitig hochschaukeln. Merken Eltern, dass das gerade passiert, können sie zwei Sachen tun. „Die erste ist, die eigene innere Haltung zu ändern", erläutert Weigert. „Und zwar, indem sie ihre Sorge loslassen und darauf vertrauen, dass ihr Baby gerade gut für sich selbst sorgt, weil es seinen Stress durch Schreien abreagiert. Gut ist, wenn Eltern das Baby dabei noch flüsternd bestätigen – mit einem: ,Das machst du echt prima! Schreien kannst du wirklich gut.‘"

Was Eltern lieber lassen sollten: Laut „Was hast du bloß?" zu fragen oder das Baby anzuflehen, es möge doch mit dem Weinen aufhören. „Weil beides die Unsicherheit der Eltern an das Baby weiterleitet und es überfordert."

Das zweite, was Eltern tun können ist: „Sich bemühen, ohne die ,Hilfe‘ des Babys ruhiger zu werden, also obwohl das Baby immer noch weint. – So wie Eltern sich wünschen, dass das Baby nicht schreit, wünschen sich alle Babys, dass ihre Eltern stets ruhig wie ein Fels in der Brandung sind." Wenn das Baby so lange weiterschreit, bis die Eltern sich so unzulänglich oder ohnmächtig fühlen, dass sie wütend werden - dann sollten sie die Reißleine ziehen: das Baby an einem sicheren Ort ablegen, etwa in seinem Bettchen, und für ein paar Minuten hinausgehen. „Und diese kurze Ruhezeit nutzen Sie, um sich selbst zu beruhigen", erzählt Weigert. „Fragen Sie sich dazu, was Sie brauchen, um vom Stress runterzukommen. Vielleicht hilft es Ihnen, laut stampfend hin- und herzugehen? Vielleicht müssen Sie auch nur mal einen Happen essen? Etwas trinken? Sich ganz kurz am Telefon bei Ihrem Partner oder einer Freundin ,entladen‘? ... Sie werden sehen: schon nach wenigen Minuten haben Sie neue Kraft, können eine neue Lösung finden." Etwa die, das Baby in den Kinderwagen zu legen und eine Runde mit ihm zu drehen.





 



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